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Mäandern

Mäandern ist eine Haltung zur Welt, die als eine fließende Bewegung verstanden werden kann. In diese Bewegung versetzt, mäandern Körper, Blick und Gedanken. Wird eine Bewegung durch Hindernisse zur Richtungsänderung gezwungen, fließt sie asymmetrisch zu ihren Außenrändern. Von diesen prallt sie ab und fließt diagonal zum gegenüberliegenden Rand. Auf diese Weise wird Groll oder allgemein Boden, abgetragen und stromabwärts abgelagert. Da die Geschwindigkeit an der Außenseite höher als an der Innenseite ist, kommt es zu einem schleifenförmigen Verlauf, dem Mäander.

Die menschliche Wirbelsäule ist von der linken Seite betrachtet in unterschiedlich geformte Abschnitte unterteilt. Die Halswirbelsäule biegt sich nach vorne, die Brustwirbelsäule nach hinten, die Lendenwirbelsäule wieder nach vorne und Kreuz- und Steißbein wiederum nach hinten. Dieser Mäander gewährleistet uns Haltung und Nachgiebigkeit gegenüber Druck.

Ein mäandernder Blick hilft uns, die Balance zu halten Wir lassen den Blick von einem Punkt, zu einem Ähnlichen, einem Anderen, zurück zum Ersten, einer Variation davon, abweichend zu einem ganz anderen, einem aus der Erinnerung, fast einem Bekannten, einem Passenden mäandern. Durch das so entstandene Ornament des Blickes wird die Konzentration wiederkehrend in Variation gehalten. Diese Form der Konzentration verhilft Erzählsträngen zu einer anderen Grammatik. Beispielsweise taucht in dem Film Der Wind wird uns tragen von Abbas Kiarostami das Motiv des Mäanderns an verschiedenen Stellen auf und beschreibt zugleich den Verlauf der Handlung.

Zunächst ist die Komposition des ersten Bildes zu nennen: Ein Auto fährt eine eng gewundene Straße entlang. Mäandernde Straßenverläufe tauchen in regelmäßigen Abständen immer wieder auf, wenn sich der Protagonist Behzad im Auto oder auf einem Motorrad in Bewegung versetzt. Ebenso ist die Rollbewegung eines vom Balkon fallenden Apfels als ein Beispiel für das Mäandern zu nennen. Bezeichnen wir im genannten Film das Warten auf den Tod der alten Frau im Dorf als den Hauptstrang der Erzählung, so zweigt der Film von diesem immer wieder ab. Episoden mit Tieren, die die Straße blockieren und damit den Fortlauf der Bewegung im Film und die vielen Anrufe aus Teheran, die Behzad zwingen den Ort zu wechseln, um einen besseren Empfang zu erhalten, sind in solcher Weise eingewoben, dass eine mäandernde Erzählung entsteht.

Das Motiv des Mäanderns taucht in unterschiedlichen Erscheinungen auf und beschreibt zugleich ein Reagieren auf das in der Welt - Sein.

Bei einem fließendem Gewässer wird von der Kurvenaußenseite abgetragen, wobei lockere Fragmente leichter abzuschleifen sind als beispielsweise solide Felsen und im Inneren gesammelt. In der Abfolge des Abtragens und Ansammelns wird die Biegung größer und es kommt zu einem Durchbruch. Vor diesem Durchbruch kann nur eine grüne Bepflanzung schützen.

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